Freiheit durch Mut -
wenn man einfach anders ist
Die Gesellschaft gibt
meist vor, wie man zu sein hat. Ist man anders, kann das schnell zum
Spießrutenlauf werden. Umso mutiger sind Menschen, die für sich einstehen -
trotz Angst auf einmal alleine da zu stehen. Sie sind Superhelden und Vorbilder
in unserem Alltag. Ein solcher Held ist Jan-Nick S.
Vor mir sitzt ein junger hübscher Mann, dessen aufgeweckter
Blick mich direkt neugierig gemacht hat. Er vermittelt Lebensfreude und Charme.
Seine blondierten Haare hängen lose um seinen Kopf und betonen seine
Leichtigkeit. Die Atmosphäre ist direkt locker und freundschaftlich. Der junge
Mann ist Jan-Nick S., 18 Jahre alt, schwul.
In unserer heutigen aufgeklärten Zeit sollte schwul sein
eigentlich als Thema völlig irrelevant erscheinen. Leider gibt es aber
weiterhin in unserer Gesellschaft einen lauten Teil, der diesen Menschen das
Leben zur Hölle macht. In Teilen erging es auch Jan-Nick leider so, doch beginnen
wir von vorne.
Am 06.08.1999 kam Jan-Nick als Sohn einer Erzieherin und
eines Projektmanagers im Firmenkundensektor einer Bank zur Welt. Einer normalen
Welt. Kleine Familienidylle inmitten eines friedlichen Kleinstadtlebens. Vier Jahre später folgte sein jüngerer Bruder.
Bereits in der
Grundschule verstand er sich besser mit den Mädchen als mit den Jungs. Zu
Beginn der Pubertät begannen die Jungs sich über die Reize der Mädchen
auszutauschen. Hier war er außen vor. Es sah sich lieber mit den Mädels Serien
an und war mit ihnen einer Meinung, wenn es um die optischen Vorzüge von
Schauspielern ging. Schauspielerinnen? Kein Interesse. Zu diesem Zeitpunkt
begannen die Jungs bereits ihre Witze zu machen. Dumme Kommentare aus dem „Schwuchtellager"
brachten Jan-Nick zum Nachdenken über sich selbst - über die eigene Identität
und die eigene Sexualität.
Wenn ein Jugendlicher in die Pubertät kommt ist er jede
Menge Veränderungen ausgesetzt. Der Körper ändert sich, die Hormone spielen
verrückt... und jetzt auch noch schwul? Ernsthaft? Zunächst wollte er es nicht
akzeptieren, belog sich selbst. Doch das Unterbewusstsein schrie nach Freiheit.
Es folgte das bewusste Wahrnehmen. Ja, er war schwul. Aber
warum? Und wie würden die Freunde reagieren? Schlimmer noch? Was würden die
Eltern sagen? Wäre er immer noch ihr Kind?
Es folgten einige Jahre der Unsicherheit und des sich selbst
in aller Öffentlichkeit Versteckens. Mit der Plattform DBNA (Du bist nicht
allein) sammelte er Erfahrungen und Geschichten anderer Jungs, denen es wie ihm
ging. Bei manchen war das Coming Out kein Problem, andere jedoch wurden von
ihren Familien nun wie Aussätzige behandelt. Dabei waren sie doch immer noch dieselben.
In der Gegenwart rutscht Jan-Nick ein wenig hin und her. Es
ist greifbar, wie unangenehm und beklemmend diese Zeit gewesen sein muss. Die
Jugend sollte man genießen! Sich verlieben! Spaß haben! Und doch gibt es in
Deutschland unzählige Jugendliche, die in Freiheit gefangen sind. Gefesselt in
Zwängen gesellschaftlicher Intoleranz. Unterdrückt von einem veralteten
Weltbild. Gerade in ländlichen Regionen, wo jeder jeden kennt, ist es schwer.
Der Tag des Coming Outs rückte näher. Jan-Nick war sich
sicher. Er wollte, dass die Welt sah, wer er ist - und wen er liebt. Die Woche
vor dem großen Tag war unruhig. Er war viel mit sich selbst beschäftigt und
ging in seinem Kopf immer und immer wieder das Gespräch mit seinen Eltern
durch. Wie würden sie reagieren? Es gab zwei Szenarien: in dem einen blieb
alles, wie es war. In dem anderen jedoch packte er nach heftigen Beschimpfungen
seine Koffer und zog aus.
Dann kam der Abend, ab dem er vor aller Welt zu sich selber
stehen wollte. Er saß in seinem Zimmer. Seine Eltern saßen im Wohnzimmer und
sahen fern. Er konnte die Stimmen der Sendung hören, als er seine Zimmertür
öffnete. Sie wurden lauter, je näher er seinen Eltern kam. Da saßen sie,
nichtsahnend. Für ihn würde sich gleich sein ganzes Leben ändern.
Und dann platze es aus ihm heraus:
" Ihr werdet von mir keine Enkel bekommen." Verwirrte
Blicke. „Ich bin schwul." Überraschte Gesichter. Der Ton des Fernsehers war
beinahe schneidend. Sein Vater schaltete den Fernseher ab. Seine Mutter hatte
Tränen in den Augen. Sein Vater jedoch begann zu lachen und damit brach das
Eis. Es böten sich nun neue Blickwinkel, so sein Vater. Jan-Nick fiel ein
großer Stein vom Herzen. Er war ein ganzer Mann und in dem Moment ein ganzer
sehr mutiger Mann!
Der Jan-Nick in der Gegenwart wird nach angespannter
Erzählung wieder lockerer. Es ist zu merken, dass er die Situation, während er
erzählt, genau vor Augen hat.
In der Schule begann nun jedoch ein Spießrutenlauf. Die „Schwuchtelfraktion"
leistete ganze Arbeit und schaffte es in ihrer unerwachsenen unaufgeklärten
Art, dass Jan-Nick sich dermaßen unwohl fühlte, dass er die Schule wechselte.
Dieser Neuanfang war gut! Einige alte Freunde, vor allem
weibliche, blieben und viele neue kamen dazu. Auch einen Freund hatte er
mittlerweile. Anfangs war es komisch, ihn in der Öffentlichkeit zu küssen und an
der Hand zu halten. Hier dauerte es noch ein wenig, bis Normalität einkehrte.
„Zu sagen, dass man schwul ist, ist eine ganz andere Liga,
als es öffentlich zu zeigen", sagt Jan-Nick und grinst breit. Er bereut nichts.
„Das Gefühl zu sich zu stehen ist großartig!" Nun genießt er das Leben. Sein
Lieblingsfach ist Kunst. Er fotografiert gern und schreibt viel.
Doch die Gedichte aus der Zeit seiner Krise liest er ungerne. „Sie sind
total krank!" Er schaut lieber nach vorn
und freut sich auf die Zukunft - eine Zukunft in Freiheit.
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