Seiten

Dienstag, 10. April 2018

Textprobe Glosse

Geld verdirbt den Charakter. Diese Bauernweisheit findet immer wieder Menschen, die alles daran setzen, sie zu bekräftigen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Von einer solchen Ausnahme allerdings ist das Ausnahmetalent Donis Avdijaj Lichtjahre weit entfernt.

„Was wollt ihr mit euren 1000 Euro im Monat? Ihr macht Euch nur lächerlich!" kommentierte der Fußballer vom FC Schalke die Mahnung zweier Polizisten im September letzten Jahres, welche ihn beim Telefonieren am Steuer erwischten und prompt zur Anzeige brachten. Zudem Duzte er die Herren und betitelte sie als Schlaumeier. Dieses Verhalten bugsierte den offensichtlich verwirrten jungen Mann vor Gericht, wo man ihn verwarnte und zu 40 Stunden sozialer Arbeit verdonnerte! Im Vorausdenken scheint Herr Avdijaj nicht sonderlich gut aufgestellt zu sein, immerhin beleidigt er ziemlich abgehoben den ausgestreckten Arm der Justiz ohne sich der Folgen bewusst zu sein. Auch Umgangsformen, die er vielleicht in der Erziehung beigebracht bekam, scheinen verloren gegangen zu sein. Mit Geld kann man schließlich alles erreichen, könnte man zumindest meinen, wenn man die Eskapaden des Schalker Knappen aus dem Kosovo beobachtet. Beamtenbeleidigung ist allerdings kein Kavaliersdelikt. Ob ein Luxusjunge mit einem Monatsgehalt von 25 000 Euro noch die Relationen kennt? Er wird während seiner Sozialstunden mit Sicherheit genug Gelegenheit haben, dies zu lernen und seinen abgehobenen Charakter zu erden. Chapeau Herr Richter!

Textprobe Kommentar - Grünen-Verkehrspolitiker Winfried Hermann fordert Info durch Ärzte auf Fahrtüchtigkeit von Senioren

Die Unfallgefahr steigt im Alter. Dieses Gefühl wird durch Statistiken bestätigt. Hinzu kommt, dass auf Grund des demografischen Wandels unserer Gesellschaft die Anzahl an Senioren im Straßenverkehr steigt. Parallel dazu steigt die Anzahl verunglückter Senioren. Waren es im Jahr 2000 noch 20 610 Senioren Hauptverursacher eines Verkehrsunfalls, wurden im Jahr 2015 bereits 31 406 registriert. In diese Statistik fließen sowohl Getötete als auch Verletzte ein. Dennoch scheinen Politiker sich an das Thema „Fahrtauglichkeitstests für Senioren" nicht recht heran wagen zu wollen. Herr Hermann spricht nun endlich aus, was viele denken und sich wünschen.

Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes trugen im Jahr 2015 bei zwei Dritteln der Unfälle, bei denen über 64 Jährige beteiligt waren, eben genau diese die Hauptschuld. Häufigste Ursache waren in dem untersuchten Jahr der Statistik zufolge Vorfahrtsfehler, sowie Unaufmerksamkeit beim Wenden, Abbiegen oder Rückwärtsfahren und an dritter Stelle nicht eingehaltener Sicherheitsabstand zum voran fahrenden Fahrzeug. Beobachtet man ältere Verkehrsteilnehmer, so merkt man, dass viele langsamer fahren, unsicher wirken, und durch schlechtes Sehvermögen nicht mehr verkehrstauglich scheinen. Auch sind ältere Menschen in komplexen Situationen, die sich im Verkehr bieten, schnell überfordert und handeln unter dem Druck oft nicht rational. Dies ist im Straßenverkehr ein großes Risiko für sie selbst und alle um sie herum. Und jeder, der ehrlich zu sich ist, sollte sich eben genau das eingestehen.

Um einem solchen Risiko für sich und andere vorzubeugen halte ich solche Tests für legitim und notwendig und kann Herrn Hermann in seinem Vorhaben nur unterstützen. Man sollte es nicht als Strafe sondern als Chance erkennen. Schließlich ist man im Straßenverkehr nicht nur für das eigene Leben verantwortlich. Und wer möchte sich schon vorwerfen müssen, dass er einen Menschen tot gefahren hat? Es geht eben nicht nur um das eigene Leben.

Textprobe Reportage - Ein Tag im Leben eines Brummifahrers

Sie begegnen uns jeden Tag im Straßenverkehr und die meiste Zeit regen wir uns über sie auf, doch sie sind Menschen mit einem hohen Maß an Verantwortung: die LKW Fahrer am Steuer ihrer großen Ungetüme, die für PKW Fahrer zum lästigen Bild des deutschen Straßenverkehrs zählen. Doch wie sieht ihr Alltag aus? Ich habe für einen Tag die Seiten gewechselt, um mal zu schauen, warum manche Situationen so sind, wie wir sie erleben.

Es ist Dienstagmorgen 04:30h. Mein Wecker klingelt. Ich ziehe mein Kissen mit einem Brummen über meinen Kopf. Das ist nun wirklich nicht meine Uhrzeit, aber da in einer Stunde Dienstantritt ist, muss ich mich schon sputen. Der Kaffee läuft, während ich mich fertig mache, in eine Thermoskanne. Zeit für Frühstück habe ich nicht. Ich habe mir jede mögliche Minute zum Schlafen eingeteilt.

Es ist noch nicht hell als ich um 05:15h auf den Parkplatz der Spedition fahre. Hier treffe ich Wasily. Er ist seit 29 Jahren als LKW Fahrer bei dem Spediteur beschäftigt. Sie fahren Materialien für Herstellungsbetriebe von A nach B: Bleche, Schaumstoffe, eben Hardware. Wasily ist ein kleiner runder Mann mit einem aufgeweckten fröhlichen Gesicht: „Guten Morgen! Sie sind dann wohl mein Co-Pilot heute!", ruft er mir erfreut entgegen. Und während ich mich frage, wie man um diese Uhrzeit schon so enthusiastisch sein kann, schüttelt er freudestrahlend meine Hand. Ich lächle zurück und erwidere seinen Gruß.

Heute geht es mit einer kleinen Ladung Stahlbleche ins Sauerland. Diese sind noch nicht verladen. Das hat er am Vortag nicht mehr geschafft, da er sonst die Lenkzeit überschritten hätte. Somit stehen wir schon 20 Minuten nach unserer Begrüßung in einer Schlange LKW an der Laderampe bei Thyssen Krupp und warten auf unsere Fracht. „Warten gehört dazu", erklärt mit Wasily. Auf der Fahrt vom Hof zur Laderampe hat er viel über Autofahrer geflucht. „Sie denken immer, ihnen gehöre die Straße", erklärt er mit polnischem Akzent und ich grinse. Sagen wir Autofahrer das nicht sonst immer über LKW Fahrer? „Ja, sicher! Sie kennen unseren Alltag nicht. Den Zeitdruck." Wenn meine erlaubte Lenkzeit um ist, muss ich das Fahrzeug abstellen und wenn ich dann noch nicht zu Hause bin, muss ich auswärts schlafen." Seine Frau macht sich dann Sorgen, sagt er mit einem frechen Zwinkern.

Eine Stunde später sind wir gut beladen mit geprüften Papieren auf dem Weg ins schöne Sauerland. Langsam geht die Sonne auf und der Nebel taucht die Welt in ein wunderschönes Zwielicht. Dieser Anblick lässt mich den Frust über den viel zu früh klingelnden Wecker schnell vergessen und ich fühle mich frei. „Darum liebe ich meinen Job! Sowas sieht man im Büro nicht." So Wasily. Recht hat er. Und während wir die noch recht freie Autobahn nutzen erzählt er mir, wie er Anfang der 80er aus Polen nach Deutschland kam. Er hatte nichts gelernt, konnte nur fahren. Nachdem er die Sprache gelernt hatte, bekam er eine Anstellung als Fahrer bei der Spedition, für die er jetzt noch arbeitet. Sein Chef ist ein sehr netter Mann und sie verstehen sich gut. Er fühlt sich wohl.

Langsam werden die Straßen voller und der erste Stau lässt nicht lange auf sie warten. Seine Frau hat ihm Brote eingepackt. Doppelte Ration, da sie sich dachte, dass es für mich sicher zu früh war. Ich freue mich sehr und bin verwundert, dass die polnische Gastfreundschaft auch in einem deutschen LKW mitten auf Deutschlands Straßen in einem Stau keine Grenzen hat. Links an uns fährt ein 40 Tonner vorbei. Als uns das Fahrerhäuschen erreicht hupt der Kollege im LKW neben uns kurz. Wasily grüßt ihn und winkt. Sie kennen sich von diversen Warteschlangen vor Laderampen. „Mein Büro sind die Autobahnen dieses Landes. Es ist zwar groß, aber meine Kollegen kenne ich trotzdem."

Nach 4 Stunden Fahrzeit erreichen wir unser Ziel. Ohne den Stau hätte die Fahrzeit nur 2 Stunden betragen. Was für einen Urlauber oder Pendler ein Graus ist, ist Alltag für Wasily. „Sicher nervt mich ein Stau. Zu Hause wartet immerhin jemand auf mich. Aber es bringt mich nicht schneller ans Ziel, wenn ich mich aufrege." Zudem müsse man im Stau ebenfalls gut auf den Verkehr achten, denn gerade dann achten einige weniger auf den Verkehr und ein Auto im toten Winkel kann schnell mal übersehen werden. „Man erkennt den Unterschied zwischen Pendlern und Bedarfsfahrern auf der Autobahn recht schnell. Am schlimmsten jedoch sind die Fahrer mit viel PS unter der Haube. Im Straßenverkehr ist Rücksichtslosigkeit Alltag." Er lenkt den LKW behände eine schmale Straße entlang und biegt in die Einfahrt zur Abladerampe ein. Der Umgangston ist rau aber herzlich und die Ware schnell abgeladen. Nach einem kurzen Kaffee im Büro und Austausch von Lieferscheinen brechen wir auf um auf dem Rückweg weitere Ladung aufzunehmen. Die Touren werden von einem Disponenten so geplant, dass man mit wenig Strecke viel erreichen kann. So fahren wir nun zwei Betriebe an und unsere Ladefläche füllt sich wieder. Ein voller LKW ist auch als Beifahrer merklich angenehmer. Er schaukelt nicht so.

Mittagspause machen wir an einer Autobahnraststätte. Wasily grüßt den einen oder anderen Fahrer und unterhält sich kurz. Ich vertrete mir die Beine. Vom vielen Sitzen fühlen sie sich schwer an. Ein Sitz in einem LKW ist kein Bürostuhl. Wasily erklärt mir, dass man als LKW Fahrer auf seinen Rücken achten muss, sonst hat man früh Schmerzen. Er geht zwei bis drei Mal die Woche ins Studio und hat daher keine Probleme. Aber er kennt die schlimmsten Geschichten von seinen Kollegen.

Als wir nachmittags den Hof der Spedition erreichen bin ich müde. Ich habe mich den ganzen Tag mit Wasily auf den Verkehr konzentriert. Als LKW Fahrer hat man als der stärkere Verkehrsteilnehmer eine große Verantwortung. Dessen ist sich Wasily bewusst und handelt entsprechend. Ist er müde und unkonzentriert macht er Pausen. Doch manchmal lässt Termindruck das nicht zu. Verspätet er sich mit der Ware, kann seinen Chef das teuer zu stehen kommen. Erreicht er seine täglich erlaubte Lenkzeit, muss seine Frau zu Hause auf ihn verzichten. So ruhige Tage wie heute hat er selten. „Du hast mir heute Glück gebracht", bedankt er sich. Seine freundlichen Augen sagen mir, dass er das tatsächlich ernst meint. Und so verabschieden wir uns.

Textprobe Bericht - Depression - integriert am Rande des Wahnsinns

Es gibt Themen, die kochen immer dann hoch, wenn eine Person des öffentlichen Lebens stirbt, obwohl auch jeder andere betroffen sein könnte. Ebbt das Thema ab, scheint das Phänomen verschwunden. Wie vorher bereits bei Robin Williams ist dies nun auch im Todesfall Chester Bennington zu sehen. Der Sänger der Band Linkin Park nahm sich am 20.07.2017 das Leben. Grund hierfür war eine schwere und bereits lange andauernde Depression. Er hinterließ eine Frau und sechs Kinder.

Egoistisch, sagen die einen und andere verstehen. Oft sind die, welche verstehen, auch die, die selbst an dem Krankheitsbild Depression leiden. Trotz der immer wieder aufkommenden Öffentlichkeit ist das Thema verpönt. Vermeintliche Schwäche ist in der heutigen Leistungsgesellschaft verboten. „Ich kann da mit keinem drüber reden", sagt mir Lisa F.. Die junge Frau ist 27 Jahre alt, erfolgreich im Beruf und hat einen großen Freundeskreis. Nach außen hin wirkt sie völlig normal:" Ich bin ja auch völlig normal! Ich fühle nur anders!"

Und hier beginnen sich die Welten zu trennen. Lisa beschreibt das Gefühl als Leere oder ständiges in tiefe Dunkelheit fallen. Hiergegen kämpft sie jeden Tag. Freunde verstehen das Gefühl nicht, sagen, sie solle sich nicht so anstellen. Das ginge auch wieder vorbei. Als das Gefühl jedoch scheinbar grundlos anhält, wendet Lisa sich an einen Arzt und bekommt die Diagnose Depression. Da sie auch von Selbstmordgedanken spricht, erhält sie eine Einweisung in eine ambulante Tagesklinik. Dort beginnt ihr Kampf zurück ins Leben.

Den Kollegen und Freunden erzählte sie von einer Reha. Sie schämt sich ihrer Schwäche. Denn obwohl psychische Krankheitsbilder immer häufiger Grund für Krankschreibungen sind, ist das Thema ein Tabu. Die Angst, nicht ernst genommen oder ausgelacht zu werden ist bei den Betroffenen groß, jedoch nicht immer berechtigt.

Hierfür ist Anne J. ein gutes Beispiel. Die 34jährige leidet bereits seit ihrer Jugend unter Depressionen. Wirklich klar wurde ihr das aber erst bei einem Arztbesuch 2014. Sie schilderte ihre Symptome und erhielt eine Einweisung. Aufgrund ihrer Position im Arbeitsumfeld und um gewissen Unstimmigkeiten mit den Kollegen vorzubeugen machte sie ihre Erkrankung öffentlich. Sie informierte ihren Chef und alle Kollegen, immerhin um die hundert Personen. „Das Feedback war überwältigend!" berichtet sie. „Einige Kollegen erzählten mir ihre Erfahrungen andere bewunderten meinen Mut. Das gab mir Kraft!" Auch im persönlichen Umfeld wird Anne unterstützt.

„Ich bin nun nicht geheilt, aber es geht mir besser." Sagt sie uns mit einem bezaubernden Strahlen in den Augen. Dadurch, dass jeder Bescheid weiß, wird auf sie geachtet. Dennoch wird sie nicht besonders behandelt. „Ich habe erkannt, dass die Erkrankung ein Teil von mir ist, der meinen Charakter ausmacht. Und für den mag man mich." Für Anne war die Therapie ein großer Schritt in die Zukunft. „Ich musste jedoch erst akzeptieren, dass ich krank bin. Dann konnte der Weg beginnen."

Sie würde nichts anders machen und empfiehlt einen offenen Umgang. Denn dieser offene Umgang schafft Vertrauen zu den Mitmenschen und Vertrautheit mit der Erkrankung.

Textprobe Bericht

Bereits zum 43. Mal pilgerten Christi Himmelfahrt die Pilger der Bruderschaft St. Tönis zum Grab des 13. Apostels Matthias nach Trier. Mit genau 80 Teilnehmern aller Altersstufen bis 81 ging der Weg bei schönstem Wetter durch die Landschaft der Eifel. Vom Schüler bis hin zum Vorstand finden sich in der Bruderschaft alle Gesellschaftsschichten wieder. Auch spielt es keine Rolle, wie gläubig jemand ist. „Jeder hat in der Gruppe seinen Platz", so Marianne Kronsbein, Brudermeisterin der Bruderschaft. Von Jahr zu Jahr steigen die Anmeldungen. 80 Teilnehmer sind jedoch das Limit. Auf Grund der vielen Teilnehmer wurde vor drei Jahren das Quartier gewechselt: das Örtchen Dodenburg war mit seinen knapp 90 Einwohnern der Pilgerzahl nicht mehr gewachsen. Nun ist die Jugendherberge Manderscheid Nachtlager. „Die Pilger sind angenehme Gäste und wir freuen uns jedes Jahr sie hier zu haben", berichtet eine Küchenkraft.

Für die einen ist der Weg entlang der Lieser und der Mosel Buße und für die anderen Geselligkeit. Aber eins haben alle Pilger gemeinsam: sie kommen zur Ruhe und ein Stück näher zurück zu ihrer eigenen Mitte. So berichtete eine Pilgerin, die vor einigen Jahren aus der Kirche austrat, dass sie im Kloster St. Matthias zum ersten Mal verstand, weshalb ein Mensch sich allem materiellen lossagt und ins Kloster geht: es ist die Ruhe und der Einklang mit sich selbst.

Der etwa 75 Kilometer lange Weg vom Gemündener Maar zur Abtei St. Matthias in Trier wird in drei Tagen zurückgelegt. Unterwegs werden die Pilger von Begleitfahrzeugen mit Wasser versorgt, was dieses Jahr besonders wichtig schien: Trier war auf den letzten Kilometern Deutschlands heißeste Stadt am Tag der Ankunft. Knapp 400 Liter Wasser wurden in den Tagen an die Pilger ausgegeben. Hinzu kamen Kaffee, Tee und die ein oder andere Flasche Piccolo für den Kreislauf. Denn neben beten und besinnen kommt auch der Spaß nicht zu kurz. Abends, wenn man meinen könnte, dass die Knochen müde sind, wird zusammen musiziert und geklönt. Hier wächst die Gruppe zusammen.

Freitag, 26. Januar 2018

Verlorene Heimat

Wenn ich jemanden aus meinem Wahl-zu-Hause Niedersachsen in meine Heimat mitbringe, zeige ich ihm Orte, an denen ich zu der Person wurde, die sie kennen: meine Grundschule und das Gymnasium, von dem ich in Unehren entlassen wurde. Orte, an denen ich gearbeitet habe, Ecken, wo ich heimlich rauchte. Meine Heimat erzählt meine Geschichte.

Wenn ich jedoch an die Zeit nach meinem Umzug nach Niedersachsen denke, fühle ich Schmerz, denn obwohl ich den Umzug wollte, tat es weh und ich weinte Nächte lang. Heimweh ist ein tolles wertvolles Gefühl, denn trotz allen Schmerzes weiß man so, dass man eine Heimat hat. Ich komme oft und gerne zurück. Doch was, wenn diese Heimat unwiederbringlich verschwindet? Verschluckt von einem Nichts? Was dann?

Das erste, das einem bei sowas einfällt, ist Krieg und Krieg klingt (wenn auch manchmal nicht mehr ganz so) weit weg. Doch in Deutschland gibt es ein anderes Nichts,  das Heimat verschluckt: der Braunkohlebagger. 

Heute wurde ich Zeuge von Geisterstädten, erschreckender Leere und tapferen Lichtgestalten, die ungeliebt für das Erbe unserer Nachfolgegenerationen kämpfen, nämlich die Erhaltung unserer Heimat und das Bestehen von Wäldern mit bestehendem Ökosystem. Verkannte Helden, wie ich finde. Doch beginnen wir vorne:

Mein Urlaubstag begann für meinen Geschmack viel zu früh. Mein Weg führte mich in das Revier von RWE. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie meine Heimat verschwindet, verschluckt wie Phantasien vom Nichts in Michael Endes unendlicher Geschichte. Was man halt in seinem Urlaub so macht... Bereits von Krefeld aus konnte man die Wolken der Kohlekraftwerke sehen. Ich kenne diese Wolken seit meiner Kindheit, doch nie war mir deren Ursprung bekannt oder bewusst. Es waren halt Wolken. Und nie hätte ich gedacht, dass andere deshalb Tränen vergießen.

Mein erstes Ziel war "Terra Nova". Was klingt wie in einem Science Fiction Roman sieht auch so aus: RWE hat eine Aussichtsplattform geschaffen, von der aus man über den Braunkohleabbau schauen kann. Bänke und Strandstühle ausgerichtet in Richtung eines sehr erschreckenden Bildes. Doch nicht genug des Ganzen: man kann hier heiraten. Idyllisch oder? Doch seht selbst:

Dieses wunderschöne Gebäude ist nicht etwa ein Bunker, sondern ein architektonischer Gedanke: Hier sehen wir ein symbolisches Kohleabbaugebiet. Die Fenster und Türen sollen Braunkohlevorkommen symbolisieren. Sieht man, oder? Nicht? Ne, irgendwie nicht! Ich finde, dass das eigentlich nur lieblos aussieht. Nichtsdestotrotz kann man an diesem schönen Flecken heiraten. Und es gibt wirklich Paare, die das tun. Ich würde sagen: Location 0 Punkte! Was meint Ihr? Und für die Stimmung komme ich zu gleichem Ergebnis. Die kommt einfach nicht auf.
Dieses Bild zeigt den Steeg, der von dem schicken Bunker oben Richtung Aussichtsplattform führt. Sieht gemütlich aus! Keine Frage! Das meine ich nicht mal ironisch! Aber nur bis man sieht, was einem die Aussicht bietet. Dann wird einem nämlich mächtig anders, denn riesige Bagger tragen hier Erde ab und damit die Rohstoffe, die sie birgt. Die Luft schmeckt modrig, es riecht nach Sand und Lehm. Die Stille wird gebrochen vom Summen der gigantischen Maschinen. Wir waren zu dritt. Außer uns wollte das Elend niemand sehen.
Einer meiner Begleiter war Groot. Er wollte meinen Planeten sehen. Leider konnte ich ihm heute nur eine traurige Seite zeigen. Eine traurige Seite, die Helden hervor ruft. Helden, die für unsere Welt kämpfen. Manche aus Verzweiflung, andere aus Überzeugung. Aber sie geben nicht auf und manche kommen dafür mit dem Gesetz in Konflikt und riskieren das Wichtigste, was wir haben: ihr Leben. Doch dazu später.
Groot jedenfalls musste sich erstmal setzen bei soviel demonstrierter Macht und sein Blick sprach Bände. Auch mir stand der Mund offen. Und bin ich sonst ehr nicht die Schweigsame, so war ich an diesem Ort still und überwältigt. So viel kahle Fläche! Ihr müsst Euch vorstellen, dass vorher dort Dörfer waren! Hier wohnten Menschen! Hier standen Bäume! Hier waren Straßen und Äcker! Hier fand das Leben von Menschen statt. Doch nun ist hier nichts mehr. Man mag nun sagen, dass Industrie so etwas mit sich bringt. Aber müssen wir diese geldgierige Unmenschlichkeit akzeptieren?

Unser Weg führte uns nun in den Hambacher Forst. Der ehemals stolze Wald mit 5500 Hektar Fläche ist nur noch ein kleines Wäldchen. Wenn RWE dort fertig ist, soll nichts übrig bleiben. Klingt wahnsinnig oder? Doch wo solches Unrecht geschieht, gibt es zum Glück  Menschen, die kämpfen. Solche Menschen durfte ich heute kennen lernen und sie hatten das schönste Lächeln, das es auf Erden gibt. Es sind die Bewohner des Hambacher Forstes und seinen neuen Stadtteilen: Oaktown, Meadow und Gallien. Hier wohnen Menschen auf Bäumen und hindern so Maschinen, diese Bäume dem Erdboden gleich zu machen. Bei jedem Wetter! Sie wohnen in selbstgebauten Häusern, die recht eindrucksvoll zu betrachten sind. Diese haben echte Fenster, sind doppelwandig mit Stroh isoliert und jedes Haus hat seinen eigenen Charme und Charakter. Im Wiesencamp sind Häuser aus Lehm gebaut und mit Glaselementen verziert. Die Bewohner der Häuser sind gebildet und mit Idealen. Sie haben unendlich große Herzen und wahnsinnigen Mut! Ich bewundere sie sehr und komme sicher zurück!

Ihre Mühen halten den Wald aufrecht und unterstützen die Tiere bei der Erhaltung ihres Lebensraumes. Der links abgebildete Baum wurde von RWE als Fledermausbaum gekennzeichnet. Diese Bäume dienen Fledermäusen auf Grund Ihrer Beschaffenheit als Schlafplatz. Deshalb wurden sie mit Plastik umwickelt. Die Fledermäuse sollten hier keinen Halt mehr finden. Wohin die Fledermäuse stattdessen sollen ist mir nicht so ganz klar, denn außer dem Wald ist dort weit und breit nichts mehr außer Kohleabbau. Aber uns Menschen gehört ja alles, nicht wahr? Eine Anwohnerin berichtete von Rehen, die ziel- und orientierungslos durch das Nichts liefen und ihren Wald suchten. Der existierte jedoch nicht mehr. Sie vermutet, dass der Jäger sie geschossen hat.
Doch der Wald ist noch voller Leben. Die folgenden Bilder zeigen Euch einen kleinen Eindruck von dem Walddorf. Ich lasse die Bilder mal kommentarlos stehen. Ich hoffe, sie bringen das von mir Gesehene zu Euch und ihr seid auch ein wenig beeindruckt. Übrigens wohnen hier Menschen aus verschiedenen Ländern, die sich mit dem Schicksal des Hambacher Forstes solidarisch zeigen. Mädels! Jungs! Es war schön bei Euch! Ich bin wirklich WIRKLICH schwer beeindruckt!








 Nach dem motivierenden Besuch des Waldes ging es an den Abgrund. Es war trostlos wie die Kulisse zu Mad Max - Furie Road. Ich wartete auf den Autritt von Tom Hardy, doch der blieb aus. Auch landete kein Raumschiff. Das Land, welches sich dort zu meinen Füßen erstreckte, wird von Menschen in Energie verheizt. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie dieser Fleck Erde wohl vor wenigen Jahren noch ausgesehen hat. Auch hier lasse ich ein paar Bilder wirken. Ich weiß nicht, ob Sie Euch so erreichen, wie mich. Aber ich hoffe es!


Ich entdeckte Überreste einer Einfahrt. Hier fand ich einen Lego-Stein. Dieser war Beweis: hier haben Menschen gewohnt und Kinder gespielt. Ich musste schlucken. Diese Menschen wurden enteignet und entschädigt. Doch kann man eine verlorene Heimat entschädigen? Jahrhundertalte Bauernhöfe, Kirchen, Wohnhäuser, darunter auch recht neu anmutende. Hier wollten sich Menschen alles für die Zukunft aufbauen, Ihren Kindern ein Erbe schaffen. Doch nichts wird hier übrig bleiben. Nun kämpfen sie mit vielen anderen um neue Grundstücke und müssen selbst die Toten auf neuen Friedhöfen besuchen. Denn auch die wurden umgezogen. Ist das nicht Stören der Totenruhe? Wo bleibt der Respekt vor unseren Ahnen? Verkauft ohne Alternative. Friss oder stirb!

 Das Bild links zeigt den Immerather Dom, oder besser das, was noch übrig ist. Vor etwa zwei Wochen wurde diese schöne Kirche trotz aller Proteste innerhalb von zwei Tagen den Erdboden gleich gemacht. Ich bin kein gläubiger Mensch. Dennoch zog sich mein Herz zusammen. Kirchen sind Gebäude, die Menschen Hoffnung geben. Sie zeigen einem bereits von Weitem, wo man ist. Die Glocken des Doms zogen schon 2014 aus. Vier von Ihnen sind in Neu Immerath nun beheimatet. Aber ihr Läuten wird nie wieder das selbe sein. Ein stolzes Gebäude wie diese Kirche so am Boden zu sehen macht auch mich Atheisten sehr traurig! Hier verraten wir unsere Kultur mehr als irgendwo sonst! Wir reißen Gebäude ein, die zeigen, wer wir sind und aus welcher Kultur wir kommen und ersetzen sie durch neue charakterlose Betonblöcke ohne Seele. Bis die Seele wieder kommt werden Jahre vergehen. Vielleicht geschieht dies aber auch nie. Zu groß ist die Verzweiflung der Menschen. Wenn Bauern den Freitod wählen, weil sie mit dem neu zugewiesenen Land ihre Existenz bedroht sehen, weil es viel kleiner ist, als das alte, dann läuft etwas gewaltig schief! Ich hoffe so sehr, dass ich Euch erreiche und vielleicht sogar motiviere, Eure Strom- und Gas-Anbieter zu wechseln, damit RWE das nicht mit Eurem Geld machen kann. Ein paar gute Anbieter verlinke ich unten im Artikel. Wenn Ihr mögt, schaut doch mal rein.

Mit diesem Bild zweier versunkener Grabkerzen möchte ich nun enden. Sie symbolisieren so viel wie sie da im Matsch liegen. Ich wurde heute Zeuge, wie viel wir in unserem Land zu sagen haben, wenn ein Konzern ins Spiel kommt: nicht viel, sollte man meinen. Aber Geld regiert die Welt! Wir als Kunden haben es in der Hand! Ein Produkt, das keiner will und somit keine Abnehmer hat, wird es nicht geben können. Acht Dörfer sollen noch weichen. Dort leben noch Menschen! Ich verliere die Hoffnung nicht und recke meine Nase trotzig in den Wind! Ich hoffe, Ihr seid dabei! Seid WonderHuman! Für die Welt Eurer Kinder!

Zwei Links zu gut und vertrauensvoll getesteten Stromanbietern:

Strom von Greenpeace
Naturstrom


Dienstag, 8. August 2017

Der Kampf mit dem schwarzen Hund

Dieser Text ist nun bereits ein paar Wochen alt und landete auf meinem privaten Facebookprofil. Aufgrund des überwältigenden Feedbacks habe ich mich aber entschlossen, ihn zu veröffentlichen, in der Hoffnung, dass er Menschen hilft zu sich zu finden oder gar zu überleben. Wenn nur ein Mensch hierdurch den weg zu seinem unbeschwerten Lachen beginnt, ist der Zweck erfüllt!

Am 21.07.2017 schrieb ich also folgendes:

"Meine letzte Nacht war ziemlich unruhig und voller Gedanken. Ich möchte deshalb den Tod von Chester Bennington zum Anlass nehmen euch, die ihr das hier lest, zu sensibilisieren.

Es sind oft die Menschen, bei denen man es am wenigsten vermutet, die oft hart mit sich selber kämpfen. Manchmal fallen sie nicht auf, weil sie sich im Leben abschotten und manchmal fallen sie nicht auf, weil sie großartige Schauspieler sind. Schau Dich um, denn vielleicht kämpft eure Cliquenrampensau gerade den schlimmsten Kampf ihres Lebens: den Kampf mit sich selber um das eigene Leben!

Die meisten von euch wissen es, denn ich habe, nachdem ich die Diagnose akzeptiert hatte, kein Geheimnis daraus gemacht. Ich habe Depression. Ich begab mich im Frühjahr 2015 in teilstationäre Hilfe und begann dort endlich mein Leben zu leben, zu lachen, zu weinen, ja alles zu fühlen. Das, was für Euch normal ist, war mir unbekannt und vergessen, ja verlernt. Klar lachte auch ich, aber bis da fühlte ich da nichts bei. Ich kannte nur Angst, Unsicherheit und eine große schwarze unbeschreibliche Leere in mir. Kaum jemand sah das, denn das Leben hat mich hart gemacht und ich war ein großartiger Schauspieler. Mein beruflicher Erfolg sprach für mich. Ich hatte einen großen und tollen Freundeskreis! Panikattacken konnte ich ruckzuck weg atmen. Ich konnte auf der Toilette weinen und wenige Minuten später die Tanzfläche stürmen ohne das jemand meine Zerrissenheit sah.

Warum ich diesen Striptease hier hinlege? Ihr alle seid Menschen, die andere Menschen kennen, die euch mehr oder weniger viel bedeuten: Seid aufmerksam. Beachtet kleinste Veränderungen! Seid gut zueinander und spart Euch Lästereien über Fremde! Diese harten Worte können das Fass eines Menschen zum Überlaufen bringen und ihn sein Leben beenden lassen! Überflüssiges Lästern über die Figur von jemanden (wir wissen nicht, wie sehr der Mensch selber damit kämpft), lachen über das Gesicht eines Menschen (wir sind alle anders und das ist gut so!), einfach elitäres Denken und andere schlecht behandeln kann zum Tod eines Menschen führen, erschreckend oder? Es braucht also keine physischen Waffen! Wir können im übertragenen Sinne Menschen mit Worten erschießen. Und vielleicht erfahren wir es dann nicht. Es beginnt doch schon damit, dass wir dumme Bilder von Menschen, die nicht unserem Schönheitsideal entsprechen, mit dummen Sprüchen versehen und auf Facebook teilen! Ja, das kann den Menschen auf dem Bild in den Selbstmord treiben!
Das Gedicht auf dem Bild unten schrieb ich 2002. Keiner dachte an Depressionen, wenn er mich sah. Man dachte, ich sei faul, rebellisch, frech. Doch eigentlich wusste ich nur nicht, wer ich bin und was ich mit mir sollte. In mir war eine tiefschwarze Leere. Dies alles erfuhr ich dann in der teilstationären Therapie. Und dafür bin ich unendlich dankbar! Wie ich da hin kam?

Es kostete mich von Tag zu Tag mehr Kraft, die Mauer und das Schauspiel um mich herum aufrecht zu halten. Die äußeren Umstände brauchten all meine Kraft auf. Eines Tages, es war 2014, sprach mich ein Arbeitskollege an, was denn mit mir sei. Ihm fehle mein Lachen. Und in dem Moment begriff ich, dass etwas mit mir schief läuft. Zwei Wochen später holte ich meine Einweisung (das Wort beunruhigte mich sehr!) und begann damit den Weg zu mir selbst. Er war nicht leicht sondern schmerzhaft aber das von mir erreichte Ziel ist so unbeschreiblich wunderbar! Das kann ich jedem Menschen nur von Herzen wünschen!

Sollet ihr also die Befürchtung haben, in Eurem Freundeskreis oder Eurer Familie driftet jemand ab, konfrontiert ihn. Packt ihn nicht in Watte aber bleibt sachlich! Lasst Euch beraten! "Normalos" können uns unter Umständen nicht verstehen. Das kann zu einem Problem werden, denn wir merken, wenn man uns nicht versteht und das kann zu einen Teufelskreis führen. Immerhin fühlt man sich nicht besser wenn man sich so anders fühlt und sieht, dass alle um einen herum einen wie einen Sonderling behandeln.

Wenn ihr Fragen habt, fragt mich! Ich bin nicht geheilt, denn eine Heilung gibt es nicht, aber ich habe gelernt auf mich zu hören, auf mich zu achten und mir Hilfe zu holen, sollte der schwarze Hund an der Leine reißen. Ich genieße das Leben und jeden Moment mit meiner Familie und meinen Freunden. Ihr könnt es sehen, denn ich lasse Euch an vielem hier auf Facebook teilhaben. Und jeder, der mich erlebt, weiß, dass ich anders bin. Das bin eben ich und während ich diesen Satz schreibe, muss ich lächeln :-)

Solltet Ihr selber betroffen sein: wendet Euch an Familie und Freunde! Nutzt die Angebote von Telefonseelsorge und Ärzten! Holt Euch Hilfe! Es ist keine Schande! Es ist ein Teil von Euch, der Euch liebenswert macht, wenn ihr ihn akzeptiert und ihn zu beherrschen lernt! Haltet Euch vor dem Abgrund fern! Der Abgrund kann warten... Das Leben ruft!"