Seiten

Dienstag, 10. April 2018

Textprobe Reportage - Ein Tag im Leben eines Brummifahrers

Sie begegnen uns jeden Tag im Straßenverkehr und die meiste Zeit regen wir uns über sie auf, doch sie sind Menschen mit einem hohen Maß an Verantwortung: die LKW Fahrer am Steuer ihrer großen Ungetüme, die für PKW Fahrer zum lästigen Bild des deutschen Straßenverkehrs zählen. Doch wie sieht ihr Alltag aus? Ich habe für einen Tag die Seiten gewechselt, um mal zu schauen, warum manche Situationen so sind, wie wir sie erleben.

Es ist Dienstagmorgen 04:30h. Mein Wecker klingelt. Ich ziehe mein Kissen mit einem Brummen über meinen Kopf. Das ist nun wirklich nicht meine Uhrzeit, aber da in einer Stunde Dienstantritt ist, muss ich mich schon sputen. Der Kaffee läuft, während ich mich fertig mache, in eine Thermoskanne. Zeit für Frühstück habe ich nicht. Ich habe mir jede mögliche Minute zum Schlafen eingeteilt.

Es ist noch nicht hell als ich um 05:15h auf den Parkplatz der Spedition fahre. Hier treffe ich Wasily. Er ist seit 29 Jahren als LKW Fahrer bei dem Spediteur beschäftigt. Sie fahren Materialien für Herstellungsbetriebe von A nach B: Bleche, Schaumstoffe, eben Hardware. Wasily ist ein kleiner runder Mann mit einem aufgeweckten fröhlichen Gesicht: „Guten Morgen! Sie sind dann wohl mein Co-Pilot heute!", ruft er mir erfreut entgegen. Und während ich mich frage, wie man um diese Uhrzeit schon so enthusiastisch sein kann, schüttelt er freudestrahlend meine Hand. Ich lächle zurück und erwidere seinen Gruß.

Heute geht es mit einer kleinen Ladung Stahlbleche ins Sauerland. Diese sind noch nicht verladen. Das hat er am Vortag nicht mehr geschafft, da er sonst die Lenkzeit überschritten hätte. Somit stehen wir schon 20 Minuten nach unserer Begrüßung in einer Schlange LKW an der Laderampe bei Thyssen Krupp und warten auf unsere Fracht. „Warten gehört dazu", erklärt mit Wasily. Auf der Fahrt vom Hof zur Laderampe hat er viel über Autofahrer geflucht. „Sie denken immer, ihnen gehöre die Straße", erklärt er mit polnischem Akzent und ich grinse. Sagen wir Autofahrer das nicht sonst immer über LKW Fahrer? „Ja, sicher! Sie kennen unseren Alltag nicht. Den Zeitdruck." Wenn meine erlaubte Lenkzeit um ist, muss ich das Fahrzeug abstellen und wenn ich dann noch nicht zu Hause bin, muss ich auswärts schlafen." Seine Frau macht sich dann Sorgen, sagt er mit einem frechen Zwinkern.

Eine Stunde später sind wir gut beladen mit geprüften Papieren auf dem Weg ins schöne Sauerland. Langsam geht die Sonne auf und der Nebel taucht die Welt in ein wunderschönes Zwielicht. Dieser Anblick lässt mich den Frust über den viel zu früh klingelnden Wecker schnell vergessen und ich fühle mich frei. „Darum liebe ich meinen Job! Sowas sieht man im Büro nicht." So Wasily. Recht hat er. Und während wir die noch recht freie Autobahn nutzen erzählt er mir, wie er Anfang der 80er aus Polen nach Deutschland kam. Er hatte nichts gelernt, konnte nur fahren. Nachdem er die Sprache gelernt hatte, bekam er eine Anstellung als Fahrer bei der Spedition, für die er jetzt noch arbeitet. Sein Chef ist ein sehr netter Mann und sie verstehen sich gut. Er fühlt sich wohl.

Langsam werden die Straßen voller und der erste Stau lässt nicht lange auf sie warten. Seine Frau hat ihm Brote eingepackt. Doppelte Ration, da sie sich dachte, dass es für mich sicher zu früh war. Ich freue mich sehr und bin verwundert, dass die polnische Gastfreundschaft auch in einem deutschen LKW mitten auf Deutschlands Straßen in einem Stau keine Grenzen hat. Links an uns fährt ein 40 Tonner vorbei. Als uns das Fahrerhäuschen erreicht hupt der Kollege im LKW neben uns kurz. Wasily grüßt ihn und winkt. Sie kennen sich von diversen Warteschlangen vor Laderampen. „Mein Büro sind die Autobahnen dieses Landes. Es ist zwar groß, aber meine Kollegen kenne ich trotzdem."

Nach 4 Stunden Fahrzeit erreichen wir unser Ziel. Ohne den Stau hätte die Fahrzeit nur 2 Stunden betragen. Was für einen Urlauber oder Pendler ein Graus ist, ist Alltag für Wasily. „Sicher nervt mich ein Stau. Zu Hause wartet immerhin jemand auf mich. Aber es bringt mich nicht schneller ans Ziel, wenn ich mich aufrege." Zudem müsse man im Stau ebenfalls gut auf den Verkehr achten, denn gerade dann achten einige weniger auf den Verkehr und ein Auto im toten Winkel kann schnell mal übersehen werden. „Man erkennt den Unterschied zwischen Pendlern und Bedarfsfahrern auf der Autobahn recht schnell. Am schlimmsten jedoch sind die Fahrer mit viel PS unter der Haube. Im Straßenverkehr ist Rücksichtslosigkeit Alltag." Er lenkt den LKW behände eine schmale Straße entlang und biegt in die Einfahrt zur Abladerampe ein. Der Umgangston ist rau aber herzlich und die Ware schnell abgeladen. Nach einem kurzen Kaffee im Büro und Austausch von Lieferscheinen brechen wir auf um auf dem Rückweg weitere Ladung aufzunehmen. Die Touren werden von einem Disponenten so geplant, dass man mit wenig Strecke viel erreichen kann. So fahren wir nun zwei Betriebe an und unsere Ladefläche füllt sich wieder. Ein voller LKW ist auch als Beifahrer merklich angenehmer. Er schaukelt nicht so.

Mittagspause machen wir an einer Autobahnraststätte. Wasily grüßt den einen oder anderen Fahrer und unterhält sich kurz. Ich vertrete mir die Beine. Vom vielen Sitzen fühlen sie sich schwer an. Ein Sitz in einem LKW ist kein Bürostuhl. Wasily erklärt mir, dass man als LKW Fahrer auf seinen Rücken achten muss, sonst hat man früh Schmerzen. Er geht zwei bis drei Mal die Woche ins Studio und hat daher keine Probleme. Aber er kennt die schlimmsten Geschichten von seinen Kollegen.

Als wir nachmittags den Hof der Spedition erreichen bin ich müde. Ich habe mich den ganzen Tag mit Wasily auf den Verkehr konzentriert. Als LKW Fahrer hat man als der stärkere Verkehrsteilnehmer eine große Verantwortung. Dessen ist sich Wasily bewusst und handelt entsprechend. Ist er müde und unkonzentriert macht er Pausen. Doch manchmal lässt Termindruck das nicht zu. Verspätet er sich mit der Ware, kann seinen Chef das teuer zu stehen kommen. Erreicht er seine täglich erlaubte Lenkzeit, muss seine Frau zu Hause auf ihn verzichten. So ruhige Tage wie heute hat er selten. „Du hast mir heute Glück gebracht", bedankt er sich. Seine freundlichen Augen sagen mir, dass er das tatsächlich ernst meint. Und so verabschieden wir uns.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen