Freitag, 26. Januar 2018

Verlorene Heimat

Wenn ich jemanden aus meinem Wahl-zu-Hause Niedersachsen in meine Heimat mitbringe, zeige ich ihm Orte, an denen ich zu der Person wurde, die sie kennen: meine Grundschule und das Gymnasium, von dem ich in Unehren entlassen wurde. Orte, an denen ich gearbeitet habe, Ecken, wo ich heimlich rauchte. Meine Heimat erzählt meine Geschichte.

Wenn ich jedoch an die Zeit nach meinem Umzug nach Niedersachsen denke, fühle ich Schmerz, denn obwohl ich den Umzug wollte, tat es weh und ich weinte Nächte lang. Heimweh ist ein tolles wertvolles Gefühl, denn trotz allen Schmerzes weiß man so, dass man eine Heimat hat. Ich komme oft und gerne zurück. Doch was, wenn diese Heimat unwiederbringlich verschwindet? Verschluckt von einem Nichts? Was dann?

Das erste, das einem bei sowas einfällt, ist Krieg und Krieg klingt (wenn auch manchmal nicht mehr ganz so) weit weg. Doch in Deutschland gibt es ein anderes Nichts,  das Heimat verschluckt: der Braunkohlebagger. 

Heute wurde ich Zeuge von Geisterstädten, erschreckender Leere und tapferen Lichtgestalten, die ungeliebt für das Erbe unserer Nachfolgegenerationen kämpfen, nämlich die Erhaltung unserer Heimat und das Bestehen von Wäldern mit bestehendem Ökosystem. Verkannte Helden, wie ich finde. Doch beginnen wir vorne:

Mein Urlaubstag begann für meinen Geschmack viel zu früh. Mein Weg führte mich in das Revier von RWE. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie meine Heimat verschwindet, verschluckt wie Phantasien vom Nichts in Michael Endes unendlicher Geschichte. Was man halt in seinem Urlaub so macht... Bereits von Krefeld aus konnte man die Wolken der Kohlekraftwerke sehen. Ich kenne diese Wolken seit meiner Kindheit, doch nie war mir deren Ursprung bekannt oder bewusst. Es waren halt Wolken. Und nie hätte ich gedacht, dass andere deshalb Tränen vergießen.

Mein erstes Ziel war "Terra Nova". Was klingt wie in einem Science Fiction Roman sieht auch so aus: RWE hat eine Aussichtsplattform geschaffen, von der aus man über den Braunkohleabbau schauen kann. Bänke und Strandstühle ausgerichtet in Richtung eines sehr erschreckenden Bildes. Doch nicht genug des Ganzen: man kann hier heiraten. Idyllisch oder? Doch seht selbst:

Dieses wunderschöne Gebäude ist nicht etwa ein Bunker, sondern ein architektonischer Gedanke: Hier sehen wir ein symbolisches Kohleabbaugebiet. Die Fenster und Türen sollen Braunkohlevorkommen symbolisieren. Sieht man, oder? Nicht? Ne, irgendwie nicht! Ich finde, dass das eigentlich nur lieblos aussieht. Nichtsdestotrotz kann man an diesem schönen Flecken heiraten. Und es gibt wirklich Paare, die das tun. Ich würde sagen: Location 0 Punkte! Was meint Ihr? Und für die Stimmung komme ich zu gleichem Ergebnis. Die kommt einfach nicht auf.
Dieses Bild zeigt den Steeg, der von dem schicken Bunker oben Richtung Aussichtsplattform führt. Sieht gemütlich aus! Keine Frage! Das meine ich nicht mal ironisch! Aber nur bis man sieht, was einem die Aussicht bietet. Dann wird einem nämlich mächtig anders, denn riesige Bagger tragen hier Erde ab und damit die Rohstoffe, die sie birgt. Die Luft schmeckt modrig, es riecht nach Sand und Lehm. Die Stille wird gebrochen vom Summen der gigantischen Maschinen. Wir waren zu dritt. Außer uns wollte das Elend niemand sehen.
Einer meiner Begleiter war Groot. Er wollte meinen Planeten sehen. Leider konnte ich ihm heute nur eine traurige Seite zeigen. Eine traurige Seite, die Helden hervor ruft. Helden, die für unsere Welt kämpfen. Manche aus Verzweiflung, andere aus Überzeugung. Aber sie geben nicht auf und manche kommen dafür mit dem Gesetz in Konflikt und riskieren das Wichtigste, was wir haben: ihr Leben. Doch dazu später.
Groot jedenfalls musste sich erstmal setzen bei soviel demonstrierter Macht und sein Blick sprach Bände. Auch mir stand der Mund offen. Und bin ich sonst ehr nicht die Schweigsame, so war ich an diesem Ort still und überwältigt. So viel kahle Fläche! Ihr müsst Euch vorstellen, dass vorher dort Dörfer waren! Hier wohnten Menschen! Hier standen Bäume! Hier waren Straßen und Äcker! Hier fand das Leben von Menschen statt. Doch nun ist hier nichts mehr. Man mag nun sagen, dass Industrie so etwas mit sich bringt. Aber müssen wir diese geldgierige Unmenschlichkeit akzeptieren?

Unser Weg führte uns nun in den Hambacher Forst. Der ehemals stolze Wald mit 5500 Hektar Fläche ist nur noch ein kleines Wäldchen. Wenn RWE dort fertig ist, soll nichts übrig bleiben. Klingt wahnsinnig oder? Doch wo solches Unrecht geschieht, gibt es zum Glück  Menschen, die kämpfen. Solche Menschen durfte ich heute kennen lernen und sie hatten das schönste Lächeln, das es auf Erden gibt. Es sind die Bewohner des Hambacher Forstes und seinen neuen Stadtteilen: Oaktown, Meadow und Gallien. Hier wohnen Menschen auf Bäumen und hindern so Maschinen, diese Bäume dem Erdboden gleich zu machen. Bei jedem Wetter! Sie wohnen in selbstgebauten Häusern, die recht eindrucksvoll zu betrachten sind. Diese haben echte Fenster, sind doppelwandig mit Stroh isoliert und jedes Haus hat seinen eigenen Charme und Charakter. Im Wiesencamp sind Häuser aus Lehm gebaut und mit Glaselementen verziert. Die Bewohner der Häuser sind gebildet und mit Idealen. Sie haben unendlich große Herzen und wahnsinnigen Mut! Ich bewundere sie sehr und komme sicher zurück!

Ihre Mühen halten den Wald aufrecht und unterstützen die Tiere bei der Erhaltung ihres Lebensraumes. Der links abgebildete Baum wurde von RWE als Fledermausbaum gekennzeichnet. Diese Bäume dienen Fledermäusen auf Grund Ihrer Beschaffenheit als Schlafplatz. Deshalb wurden sie mit Plastik umwickelt. Die Fledermäuse sollten hier keinen Halt mehr finden. Wohin die Fledermäuse stattdessen sollen ist mir nicht so ganz klar, denn außer dem Wald ist dort weit und breit nichts mehr außer Kohleabbau. Aber uns Menschen gehört ja alles, nicht wahr? Eine Anwohnerin berichtete von Rehen, die ziel- und orientierungslos durch das Nichts liefen und ihren Wald suchten. Der existierte jedoch nicht mehr. Sie vermutet, dass der Jäger sie geschossen hat.
Doch der Wald ist noch voller Leben. Die folgenden Bilder zeigen Euch einen kleinen Eindruck von dem Walddorf. Ich lasse die Bilder mal kommentarlos stehen. Ich hoffe, sie bringen das von mir Gesehene zu Euch und ihr seid auch ein wenig beeindruckt. Übrigens wohnen hier Menschen aus verschiedenen Ländern, die sich mit dem Schicksal des Hambacher Forstes solidarisch zeigen. Mädels! Jungs! Es war schön bei Euch! Ich bin wirklich WIRKLICH schwer beeindruckt!








 Nach dem motivierenden Besuch des Waldes ging es an den Abgrund. Es war trostlos wie die Kulisse zu Mad Max - Furie Road. Ich wartete auf den Autritt von Tom Hardy, doch der blieb aus. Auch landete kein Raumschiff. Das Land, welches sich dort zu meinen Füßen erstreckte, wird von Menschen in Energie verheizt. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie dieser Fleck Erde wohl vor wenigen Jahren noch ausgesehen hat. Auch hier lasse ich ein paar Bilder wirken. Ich weiß nicht, ob Sie Euch so erreichen, wie mich. Aber ich hoffe es!


Ich entdeckte Überreste einer Einfahrt. Hier fand ich einen Lego-Stein. Dieser war Beweis: hier haben Menschen gewohnt und Kinder gespielt. Ich musste schlucken. Diese Menschen wurden enteignet und entschädigt. Doch kann man eine verlorene Heimat entschädigen? Jahrhundertalte Bauernhöfe, Kirchen, Wohnhäuser, darunter auch recht neu anmutende. Hier wollten sich Menschen alles für die Zukunft aufbauen, Ihren Kindern ein Erbe schaffen. Doch nichts wird hier übrig bleiben. Nun kämpfen sie mit vielen anderen um neue Grundstücke und müssen selbst die Toten auf neuen Friedhöfen besuchen. Denn auch die wurden umgezogen. Ist das nicht Stören der Totenruhe? Wo bleibt der Respekt vor unseren Ahnen? Verkauft ohne Alternative. Friss oder stirb!

 Das Bild links zeigt den Immerather Dom, oder besser das, was noch übrig ist. Vor etwa zwei Wochen wurde diese schöne Kirche trotz aller Proteste innerhalb von zwei Tagen den Erdboden gleich gemacht. Ich bin kein gläubiger Mensch. Dennoch zog sich mein Herz zusammen. Kirchen sind Gebäude, die Menschen Hoffnung geben. Sie zeigen einem bereits von Weitem, wo man ist. Die Glocken des Doms zogen schon 2014 aus. Vier von Ihnen sind in Neu Immerath nun beheimatet. Aber ihr Läuten wird nie wieder das selbe sein. Ein stolzes Gebäude wie diese Kirche so am Boden zu sehen macht auch mich Atheisten sehr traurig! Hier verraten wir unsere Kultur mehr als irgendwo sonst! Wir reißen Gebäude ein, die zeigen, wer wir sind und aus welcher Kultur wir kommen und ersetzen sie durch neue charakterlose Betonblöcke ohne Seele. Bis die Seele wieder kommt werden Jahre vergehen. Vielleicht geschieht dies aber auch nie. Zu groß ist die Verzweiflung der Menschen. Wenn Bauern den Freitod wählen, weil sie mit dem neu zugewiesenen Land ihre Existenz bedroht sehen, weil es viel kleiner ist, als das alte, dann läuft etwas gewaltig schief! Ich hoffe so sehr, dass ich Euch erreiche und vielleicht sogar motiviere, Eure Strom- und Gas-Anbieter zu wechseln, damit RWE das nicht mit Eurem Geld machen kann. Ein paar gute Anbieter verlinke ich unten im Artikel. Wenn Ihr mögt, schaut doch mal rein.

Mit diesem Bild zweier versunkener Grabkerzen möchte ich nun enden. Sie symbolisieren so viel wie sie da im Matsch liegen. Ich wurde heute Zeuge, wie viel wir in unserem Land zu sagen haben, wenn ein Konzern ins Spiel kommt: nicht viel, sollte man meinen. Aber Geld regiert die Welt! Wir als Kunden haben es in der Hand! Ein Produkt, das keiner will und somit keine Abnehmer hat, wird es nicht geben können. Acht Dörfer sollen noch weichen. Dort leben noch Menschen! Ich verliere die Hoffnung nicht und recke meine Nase trotzig in den Wind! Ich hoffe, Ihr seid dabei! Seid WonderHuman! Für die Welt Eurer Kinder!

Zwei Links zu gut und vertrauensvoll getesteten Stromanbietern:

Strom von Greenpeace
Naturstrom


2 Kommentare:

  1. Das ist wirklich beklemmend. Ich wünsche den Menschen, die weichen mussten, dass sie das Schwierigste finden, was man überhaupt finden kann: Echte Heimat.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Echte Heimat zu ersetzen ist fast unmöglich, aber es bleibt wirklich jedem nur zu wünschen. Die Geschichte jedoch bleibt unwiederbringlich gelöscht.

      Löschen